Der Mai 2010 6 Years, 7 Months ago   

Ihr Lieben,

es ist Freitag der 4.Juni und nach einem Tag mit unerträglicher Hitze fängt es jetzt, 23.10 Uhr, endlich an zu regnen. Frei nach dem Motto „es kann ja nicht immer regnen“ freue ich mich riesig und nutze diese Hochstimmung, um Euch die letzten 4 Wochen zu erzählen (während der Doktor wie wild das Dach putzt, mit Hilfe der Unmengen an Regen, die gerade runter rasseln).
Tja, im Mai 2010, was soll ich Euch sagen, waren wir weiterhin in Pondicherry. Langsam fällt auch mir dazu nichts mehr ein. Es gibt offensichtlich unvorhersehbare Verzögerungen, die mit vielen Worten, mehr oder weniger sinnvoll, erklärt werden. Hauptproblem ist weiter unser Herzchen die Kläranlage. Nach mehreren persönlichen Vorsprachen in Chennai, etlichen E-Mails und unzähligen Anrufen haben wir noch immer nicht die Auskunft, ob und wann das gute Stück geliefert wird, geschweige denn einen Kaufvertrag (trotz Anzahlung von RS 25.000) oder mal die Info, wo denn hier überhaupt das Problem ist. Niemand fühlt sich zuständig und wir werden vertröstet, hingehalten oder auch schlichtweg verarscht. Und die Wut über dieses Verhalten steigt ins Unermessliche, wenn ich mir überlege, dass, wäre das Teil da wo es hingehört, nämlich in der knapp 4 Meter tiefen Grube vor der Geburtsstation, dann könnte man schon ernsthaft darüber nachdenken dort auch zu wohnen. Dann könnte man schon mal Putzen und unseren „Special Friend“ den Mauermeister zu Tode nerven oder wenigstens dazu bewegen, sich mal etwas zu beeilen. Ja, alles wäre viel einfacher, aber nicht ärgern, es regnet!
Wo wir gerade bei der Firma Sintex sind, würde mich mal interessieren, ob vielleicht jemand von Euch ähnliche Erfahrungen mit der Firma Sintex gemacht hat. Eigentlich dachten wir nämlich, dass durch den Kauf dieser Mini-Kläranlage der Firma Sintex für unsere Geburtsstation, die ganze Abwassersituation in der Umgebung revolutioniert werden könnte. Andere kämen dadurch vielleicht auch auf die Idee, dass diese Anlage doch viel besser ist als die herkömmlichen Septik-Tanks, da sie geklärtes Wasser auswirft, was bedenkenlos ins Feld geleitet werden kann und deutlich weniger Wartungskosten hat, zum quasi gleichen Preis wie die „alten“ Anlagen. Davon würde nicht nur die Umwelt profitieren und natürlich die Menschen der Region, sondern eben auch die Firma Sintex. Aber scheinbar sehen nur wir dieses Potenzial.
Das nächste Problem, oder besser, was noch zu tun ist, bevor es endlich mit Einrichten losgehen kann, ist die Schutzmauer um das Grundstück. In den letzen 4 Wochen wurden gerade mal 3 Meter von noch insgesamt ca. 120 Meter Mauer gebaut. Tja, this is India. Angeblich sind Steine zurzeit nicht zu bekommen, was mich doch schon arg wundert, da der Bau der Mauer nun wirklich keine Neuigkeit ist. Vielleicht würde es schneller gehen, bekäme der Mauermeister die, dem Doktor unter vier Augen, vorgeschlagenen RS 200.000 für die Hochzeit seiner Tochter, vielleicht würde aber auch der von Wolfgang gekaufte Baseball-Schläger die Sache verkürzen. Ich weiß es nicht, finde aber beide Vorschläge nicht erbaulich. Die Verwunderung bleibt und nimmt auch gerne noch andere Formen an, denn die im November bis Januar ausgesuchten Mosquitonetze, Türen, Türfüllungen, Ventilatoren etc. waren zum Teil Anfang Mai noch nicht einmal bestellt. Und dann passiert, was eben passieren muss: „hammer nich määhr“. Kommt mit doch alles irgendwie bekannt vor.
Ansonsten muss ich sagen, sieht das Haus langsam aber sicher nahezu fertig aus. Die Malerarbeiten sind fast beendet, es wurden sogar die Fliesen und Fenster schon mal vorgeputzt, die Aluminiumrahmen für die Türen wurden eingebaut und auch die Türen, nur leider ohne Türfüllung, da die eben nicht bestellt wurden. Es scheint so, als ob eine Fertigstellung sich nicht mehr verhindern ließe und unter Umständen auch noch in diesem Leben eintritt.
Soweit zum Haus.
Trotz allem war der Mai für mich ein bewegender Monat, da meine Mutter mich hier besucht hat. Nach fast einem Jahr, indem wir uns nur über eine miserable Skype-Verbindung gesehen haben, war ich sehr froh, sie endlich mal wieder live und in Farbe zu haben. Ich finde es wirklich großartig, dass sie sich mit nun 67 Jahren, ganz allein und nach gut 16 Jahren mal wieder in ein Flugzeug setzt, dann 9 Stunden nach Indien fliegt und noch dazu mit 5 Worten Englisch durch die indische Passkontrolle kommt. In den zwei Wochen, die sie hier war, kam gelegentlich die Frage auf, von wem ich denn DAS wohl geerbt habe, tja Mutti, ich würd man sagen von Dir.
Und wir hatten eine schöne Zeit: wir haben uns tapfer durch den indischen Verkehr gekämpft, sei es auf dem Moped, im Auto oder zu Fuß und haben hier in Pondi und Umgebung einiges gesehen, haben abends im Sonnenuntergang Yoga auf dem Dach geübt, waren gut Essen, haben uns natürlich die Geburtsstation angesehen und haben eben viel geschnackt und Zeit gehabt. Da der Mai wohl der heißeste Monat hier sein soll, hatte ich im Vorfeld doch einige Bedenken, ob sie das auch alles so aushält. Hat sie und zwar besser als ich, die, bevor der große Regen kam, ihre Körperkühlung nur mit dem Verlust von reichlich Flüssigkeit aufrechterhalten konnte.
Möglich war das alles nur durch das Sponsoring meine Bruders und dafür nochmal DANKE Bruderherz – Du bist der beste!!!

Viel mehr Neues ist im Mai dann auch leider nicht passiert. Zu den regelmäßigen Treffen mit unseren indischen Kollegen, Sprachunterricht, Fahrten nach Anaiyeri und Papierkram-Vorbereitungsarbeit am Rechner, kamen nun noch die, schon fast regelmäßigen, Fahrten nach Chennai zu den extrem hilfreichen Mitarbeitern der Firma Sintex (rrrh). Wenigstens konnten wir das in-Chennai-Sein nutzen, um nach medizinischem und handwerklichem Bedarf zu schauen, so waren die gut 4 Stunden Hinfahrt und 4 Stunden Rückfahrt nicht ganz umsonst. Und wir haben gute Läden gefunden, die sehr hilfreiche und noch dazu freundliche Mitarbeiter haben. Es geht also auch anders.
Da ich leider bisher noch keinen Ersatz für Teresa finden konnte (hat denn wirklich keine von Euch Lust auf ein Abenteuer?!?), wird es nun erst mal so sein, dass zuerst die Arbeit in der Station zum Laufen gebracht werden soll und danach erst mit der „mobilen“ Arbeit in den Dörfern begonnen werden kann. Ich finde das so eher suboptimal, da für meine Begriffe die Hebammenarbeit nicht nur in der Geburtshilfe besteht, sondern vor allem in Aufklärungsarbeit, Vorsorge und Nachsorge direkt in den Familien. Nur so können alle Frauen erreicht werden, die aus welchen Gründen auch immer, nicht in die Station kommen können. Außerdem planten wir ja überwiegend ambulante Geburten zu betreuen(heißt Entlassung aus der Station 6 Stunden nach Geburt), deshalb gibt es auch nur zwei Patientenzimmer, was eben eine regelmäßige Nachsorge zu Hause von Anfang an absolut notwendig macht.
Offensichtlich scheint es für indische Hebammen/Krankenschwestern leider nicht so spannend zu sein, wie für mich, auf dem Land zu arbeiten. Deshalb überlegt die indische Regierung, eine Zusatzzahlung von monatlich RS 3500 einzuführen, sodass eine Landhebamme dann ca. RS 6000 (~100 €) monatlich verdienen würde (bezugnehmend auf die wohl in Deutschland heißen Diskussionen über die Bezahlung von Hebammen, rege ich daher zu einer Überdenkung des Ausdrucks „am Hungertuch nagen“ an, der mir doch in diesem Zusammenhang eher unpassend erscheint).
Wie dem auch sei, wir brauchen also mindestens 3 weitere indische Hebammen, die dann natürlich zunächst ausgebildet und eingearbeitet werden sollten.
Von der Visumsituation kann ich leider auch nichts Neues berichten, außer, dass unser Anwalt alle unterschriebenen Papieren und die nicht unerhebliche Bearbeitungsgebühr in der „Meldebehörde“ in Viluppuram abgegeben hat. Es bleibt also weiter aufregend, um nicht zu sagen zum Nägelkauen spannend.
Im Juni 2010 wird sich so einiges entscheiden.
Werden unsere Visa verlängert?
Wird die Kläranlage dann doch noch geliefert?
Werden wir endlich nach Anaiyeri ziehen und mit der (Einrichtungs-) Arbeit beginnen können?
Ich werde Euch engmaschig auf dem Laufenden halten und sobald es irgendetwas Neues gibt, könnt Ihr das genau hier lesen. Es lohnt sich also im Juni öfter mal auf die Internetseite zu schauen!
Frei nach meinem Monatsmotto „es kann ja nicht immer regnen“, genieße ich die kühle Regenluft und hoffe, dass alles gut gehen wird.

Eure Hanka