Der Januar 2011 5 Years, 11 Months ago
Ihr Lieben zu Hause,
Sicher fragt Ihr Euch schon, ob denn bei unserer Einreise nach Indien alles geklappt hat.
Ihr werdet es nicht glauben, no problem at all! Beim Einchecken in Deutschland hatte zwar die Dame am Schalter offensichtlich einen schlechten Tag, kann ja mal passieren. Deshalb durften wir die Koffer öffnen und das Gewicht gleichmäßig verteilen (ein Koffer hatte 26kg der andere 34kg, nein, das geht natürlich gar nicht!) Keine Sorge, ich habe nicht aus Versehen meinen ganzen deutschen Hausstand mitgenommen, das meiste war für die Geburtshilfestation, Sachen eben, die man in Indien nicht bekommt – mal abgesehen von 5 Tüten Haribo und der ein oder anderen Packung Mirácoli.
Jedenfalls sind wir ohne Probleme durch die deutschen Passkontrollen gekommen, der Flug war wunderbar und der Passkontrolleur in Indien warf einen kurzen Blick auf unsere ganzen Papiere, einen etwas längeren Blick auf die unglaublich lange Schlange hinter uns, sagte „Ok, no problem“ und durch waren wir.
Kaum zu glauben!
Unser Gepäck wartete auch schon auf uns, also nix wie raus aus dem Flughafen. Und da war es wieder, Indien! Warm. Laut. Unglaublich hell und viele schreiende Menschen.
Nachdem mir der Abschied von meiner Familie und meinen Freunden diesmal doch sehr schwer gefallen ist (nach dem letzten deutschen Telefonat mit meiner Mutter am Flughafen war das leider ganz offensichtlich), war dieses Raustreten aus dem Flughafengebäude wie eine Umarmung. Zurück. Endlich.
Und der erste Tag ging gut weiter. Nachdem wir uns im Hotel kurz frisch gemacht hatten, sind wir weiter zur Visaverlängerungsbehörde – Ihr erinnert Euch, uns fehlte noch immer der Stempel im Pass. Nachdem wir irgendwie das richtige Gebäude gefunden hatten, saßen wir da und warteten. Es verging eine Stunde – nix passierte. Es verging eine weitere Stunde – nix. Nach der dritten Stunde durften wir unser Anliegen vortragen und die Pässe abgeben. Nach der vierten Stunde bekamen wir zwei Briefe für den Police-Officer in Viluppuram (Portosparaktion) und unsere Pässe zurück – nur ohne Stempel. Nach kurzer Diskussion durften wir wieder Platz nehmen – ohne Pässe wohlgemerkt – und hatten 30min später, Tatsache einen Stempel über die Verlängerung unserer Arbeitsvisa in unseren Pässen.
Tja, es geht doch!
Leider ging dann der Rest des Monats nicht so gut weiter.
Problem 1: Das Auto.
Bevor wir nach Deutschland gefahren sind, hatten wir das Auto einem guten Bekannten, ich würde schon sagen Freund, zur sicheren Verwahrung gegeben, da es uns in unserer Straße in Pondicherry nicht wirklich gut aufgehoben schien. Denn hier sind des Nachts auch schon mal betrunkene Halbstarke am Start – ja, die gibt es hier auch – die das Kleine angepinkelt haben und dann auch noch übers Dach gelaufen sind. Also dachten wir, unter Beobachtung unseres Freundes, in seinem Carport direkt vor seinem Haus, ist es besser aufgehoben. Falsch gedacht. Dem Auto ging es zwar soweit gut, nur fehlten leider sämtliche Sticker (gespendet von, etc.), die Anschnallgurte waren abmontiert, der Erste Hilfe Kasten fehlte und insgesamt wurden über 1000km damit gefahren. Was für eine Enttäuschung! Sicher, man könnte auch sagen: „Es ist ja nur ein Auto und es fährt doch auch noch gut, also. Seid nicht so materiell!“ So würden wir vielleicht denken, wenn das Auto denn wirklich uns gehören würde, tut es aber nicht. Es ist eine Spende der „Indienpartnerschaft des Auguste Victoria Gymnasiums“ in Trier an die PMD und wir dürfen das Auto nutzen, solange wir in Indien sind. Somit ist uns natürlich der Zustand des Autos sehr unangenehm und die berechtigten Nachfragen von deutscher Seite verständlich. Wir haben das Auto durchchecken lassen und natürlich auch neue Sticker bestellt. Es ist soweit wieder in Ordnung.
Hinzu kommt die große menschliche Enttäuschung, weil wir mit dem Verhalten unseres „Freundes“ nie und nimmer gerechnet hätten. Manchmal erkennt man eben zu spät, wie ein Mensch wirklich zu einem steht und wem man vertrauen kann; dies gilt leider nicht nur für die Inder.
Problem 2: Die Geburtshilfestation
Durch diese Erfahrung doch etwas niedergeschlagen sind wir dann umgehend zu der Geburtshilfestation nach Anaiyeri gefahren. Und mein erster Eindruck war, wie eigentlich immer, wunderbar. Die Mädels (Seely und Selvi, unsere beiden Putzfeen und Mary-Agnes, unsere Hebamme und Mitarbeiterin am Projekt) haben sich riesig gefreut uns zu sehen. Mr. Lourdesamy (unser Security-Mann) kam etwas später und lachte, dass es nur so gluckerte, vor lauter Freude. Und dann wurde erzählt und berichtet, was die letzten Wochen so passiert ist. Neben familiären Dingen, z.B. das Mary-Agnes ihr Mann über die Wochenenden Arbeit gefunden hat und dass die Frau von Lourdesamy ins Krankenhaus musste, da sie Bluthochdruck und Diabetes hat – was wohl in der Gegend um Anaiyeri eine sehr häufige Kombination ist - , wurde natürlich auch übers Essen und Wetter geredet. Geregnet hatte es nur 3 Tage. Das wunderte uns, denn in Pondicherry (gut 70 km weiter östlich) erzählte man uns, dass es viel und heftig geregnet hat, aber wahrscheinlich ist der Monsun eben ein nicht zu planendes Ereignis. Was uns aber am brennendsten interessierte, war natürlich, was am Haus selbst so passiert ist. Die Mädels haben regelmäßig geputzt und das sah man auch, denn es glänzte, dass es eine Freude war. Die Elektriker aus Viluppuram waren an 3 Tagen da und die Stromprobleme scheinen alle gelöst. Auch die Wassertanks auf den Dächern wurden regelmäßig gereinigt, was eigentlich gar nicht auf dem Plan stand. Ein Blick in die Tanks zeigte dann jedoch trotzdem sehr trübes Wasser und einen mit Sand besetzten Boden. Das Wasser, welches die Quelle fördert, scheint also noch immer nicht in Ordnung zu sein. Wo wir dann schon auf dem Dach waren, mussten wir leider feststellen, dass die Risse, die über das komplette Dach ziehen, unverändert waren. Auch an den Fenstern und im Treppenhaus hatte sich bezüglich des Reinregnens nichts getan. Und so ging es dann Stück für Stück weiter. Die Abwasserrohre unserer Minikläranlage lagen so da, wie wir sie verlassen hatten, der Abflussgraben vor dem Haus war weiterhin mit Müll, Steinen und Erde verlegt und auch von einer kleinen Stellfläche für die Mülleimer war nichts zu sehen.
Nun gut, dachten wir, reden wir erst einmal mit Annie, Anbarasu und Samy darüber.
Das Gespräch ergab, dass in den 4 Wochen unserer Abwesenheit das Stromproblem behoben wurde. Leider konnten, so sagte Samy uns, aufgrund des Monsunregens keine weiteren Arbeiten erledigt werden.
Hinzukommt
Problem 3: Annie arbeitet in einer Privatklinik in Viluppuram
Ja, Ihr habt richtig gelesen. Ich habe ca. 20 Stunden gebraucht diese Info einzuordnen. Wolfgang war da erstaunlich schneller. Jedenfalls ist es so, dass Annie (unsere indische Ärztin und Mitarbeiterin am Projekt) seit Anfang des Jahres in einer Chirurgischen Privatklinik in Viluppuram von 8 bis 16 Uhr arbeitet. Das kann ich auf der einen Seite verstehen, sie möchte Erfahrungen sammeln und medizinisch Arbeiten.
Bisher war Anuj (ihr nun einjähriger Sohn) der Grund für ihre mehr oder weniger kurzen „Besuche“ in Anaiyeri, was ich auch nachvollziehen kann, denn die Fahrt von über 30 min. auf extrem schlechten Straßen ist für das Kind sicher keine Freude. Um ihn jedoch an die neue Umgebung und an ein Kindermädchen aus der Gegend zu gewöhnen, hatten sie beschlossen, nach Anaiyeri zu ziehen. Diese Idee fand ich, nach etwas Bedenken, gar nicht schlecht, weil ich auch dachte, dass sie vielleicht dann Zeit hat, um, zusammen mit Mary-Agnes, das ein oder andere vorzubereiten (Bewerbungsgespräche von Schwestern/Hebammen zu planen, Fortbildungen, Arbeitsstandards, etc.), damit wir nach unserer Rückkehr richtig durchstarten können.
Leider sind sie bisher - sicher auch wegen der Arbeit in Viluppuram - noch nicht umgezogen, und somit ist von alle dem, was ich mir so gedacht hatte, nichts passiert.
Ein eindeutiger Fall von zu hohen Erwartungen meinerseits.
Wie dem auch sei, das Enttäuschungsmoment saß auch hier wieder recht tief und es bleibt
Problem 4: Wie soll es weiter gehen?
Zunächst haben wir versucht die Ereignisse hier und unsere Enttäuschung darüber in Worte zu fassen.
Daraufhin haben wir wenig Unterstützung erfahren…
Dann hatten wir, seit dem dies alles passiert ist, einige Nächte zum „darüber schlafen“ bzw. Zeit zum Reden und Denken, wahlweise Nachts, denn schlafen war nicht so…
Ergebnis: Wir wollen die Arbeit in der Geburtshilfestation beginnen. Soviel ist klar.
Und wir haben noch nicht komplett die Nase voll, denn Wolfgang steht wieder in den Gräben für die Abwasserrohre, wundert sich und macht es nun am Ende wirklich selbst, auch wenn das nicht unseren Ansichten von interkultureller Zusammenarbeit, um nicht zu sagen Entwicklungsarbeit, entspricht. Aber ohne seinen Einsatz im „Rohrgraben“ würde die teuer (vor allem im zeitlichen Sinne) erkaufte Minikläranlage sehr schnell nicht mehr funktionieren und unbenutzbar sein. Und ohne Toilette ist das Haus natürlich auch nicht einsatzbereit. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmal an unser Vorhaben hier erinnern: Vorsorge ist besser als Heilung. Das trifft eben auch auf die Umstände im und am Haus zu. Sicher könnte man zuwarten, bis ein Problem eintritt, auch wenn man es bereits vorhersieht. Aber sind wir dann besser dran, wenn z.B. ein Toilettenproblem entsteht und das „Krankenhaus“ bereits im Dienst ist? Sollte man nicht alles tun, dies, soweit es geht, zu verhindern?
Nun gut, diese Arbeiten sind jedenfalls jetzt beendet.
Das Wasserproblem werden wir versuchen, mit Hilfe von Filtern zumindest vorrübergehend zu lösen. Und zum Thema rein regnen und Müllstellplatz, sagte man uns, dass sich gekümmert wird.
Ok.
Ganz vorsichtig wage ich mich mal wieder an so etwas wie einen Plan heran:
Wir werden versuchen Anfang Februar den Container auszuräumen, werden dann die Geburtshilfestation fertig einrichten und tapfer weiter alles versuchen, um mit der medizinischen Arbeit zügig beginnen zu können.
Denn: Die Geburtshilfestation wird mit großer Freude in und um Anaiyeri erwartet!
Zumindest haben wir von einem Bewohner Anaiyeris ungefragt viele aufbauende Worte gesagt bekommen. Er könne gut verstehen, dass es aufwendiger ist ein „Hospital“ zu bauen und dass es deshalb auch länger dauert; schließlich soll es ja richtig gut werden und nicht irgend so ein „bullshit“ (O-Ton). Er und seine Leute würden 100% hinter uns stehen.
Ich kann mir vorstellen, dass die Situation hier in Indien für Euch wahrscheinlich noch viel schwieriger nachzuvollziehen ist, als für uns.
Es ist keine einfache Zeit, für jeden von uns.
Deshalb DANKE an alle, die trotzdem hinter uns und dem Projekt stehen!
In diesem Sinne
Bleibt mir gesund!
Eure Hanka