Das dritte Kind ist also auch geboren. Am 12-07-2011 per Kaiserschnitt im New Medical College (NMC) in Mundiampakkam, Viluppuram. Nach einem Höllenritt von einer Stunde in dem vom BMZ gestifteten Ambulanzfahrzeug, welches den Namen nicht verdient. Aber immerhin: Das Kind, das ersehnte Mädchen (!) ist gesund, die Mutter, die nach dem zweiten Kind eine Sterilisation, die hier „Family-Planning“ heißt, wollte, ist wohlauf und der operative Eingriff ist gut verlaufen.

Nochmal Glück gehabt, wie ich meine. Schon wieder: Die Mutter, das Kind – und wir. Ohne Aufenthaltsgenehmigung und Arbeits-Erlaubnis, aber mit Vertrauen der werdenden Mutter in die Richtigkeit unserer Entscheidungen. 

Am Morgen des 11-07-2011 war Frau Kamramary bei uns zur Schwangerenversorge; leichte Wehen waren bereits auf dem Herzton- und Wehenschreiber zu sehen; da Frau K.  so gar nichts davon merkte, schickten wir sie wieder nach Hause. Besonderheiten gab es bei dieser dritten Schwangerschaft von Frau K. nicht.

Der 11-07-2011 war etwas anstrengend, da zum einen viele Patienten da waren, zum anderen aber wichtige Gespräche zwischen deutschen und indischen Elektrikern der Übersetzung bedurften.  

Gegen 23 Uhr kam der Anruf von Frau Kamramary, daß sie nun doch stärkere Wehen habe. Anbarasu, dritte Verdienst-Quelle zweiter  Krankenwagenfahrer, war schnell im Auto und auf dem Weg zu unserer Frau, die er eine  knappe halbe Stunde später sicher im MHC abgab. Wehen waren also da und auch die Fruchtblase sei gegen 18 Uhr gesprungen. Rasch wurde  alles vorbereitet, das dritte Kind kann ja mal schnell gehen. Muß es aber nicht. 

Denn trotz guter Vorzeichen wollte das Kind einfach nicht mitmachen. Wir haben alles versucht, von Rumlaufen über verschiedene Lagerungspositionen im Bett bis hin zu häufigen Toilettengängen und homöopathischen Kügelchen, eben alles was möglich ist. Als dann gegen 3 Uhr morgens trotz regelmäßiger und kräftiger Wehen alle 2-3 Minuten das kindliche Köpfchen immer noch nicht im Becken war, die Herztöne des Kindes langsam Auffälligkeiten zeigten und das Fruchtwasser grünlich wurde, entschieden wir, Frau K.  zu verlegen. 

Im Zuge der Verlegungsvorbereitungen stellte sich heraus, daß keine Ri/NaCL-Infusionslösungen mehr zur Verfügung standen, da alles für die Vitamingaben der Allgemeinärztlichen Tätigkeit verbraucht war. Es dauerte eine Ewigkeit, den Rollstuhl zu finden. Nicht lange brauchte ich, um festzustellen, daß es in diesem überwiegend als Personen – und Materialtransporter genutzten Ambulanz-Fahrzeug keine Möglichkeit gibt, eine Infusionsflasche aufzuhängen. Also Infusion in der Hand über den Kopf der Frau und dabei immer zwischendurch ein Milliliter eines wehenhemmenden Medikaments aus Deutschland, um dem Kind und der Mutter eine Verschnaufpause zu verschaffen. Da ein liegender Transport in diesem Wagen nicht möglich scheint,  übernahm Annie die Infusion, damit ich die Frau durch energisches Festhalten vor dem erneuten Aufschlagen ihres Hinterkopfes auf hervorstehende Eisenbügel bewahren konnte. Kurz vor Erreichen des NMC mußte der Wagen vor einer geschlossenen Schranke anhalten und der Beifahrer den Schrankenwärter wecken, damit wir die Fahrt fortsetzen konnten.

Das NMC ist ein Ensemble imposanter Gebäude und wurde vor einem Jahr der Bestimmung übergeben. Kurz nach Eröffnung besuchte ich den Leiter des Hauses, der das ganze als planungs- und ausführungstechnische Katastrophe abtat. Wie wahr. Alles vermüllt, stinkend und dreckig. Die Einrichtung in einem bedauernswerten Zustand, und das ein Jahr nach Inbetriebnahme. Siehe: http://www.thehindu.com/todays-paper/tp-national/tp-tamilnadu/article2155462.ece Die sechs diensttuenden Schwestern waren recht mürrisch ob der unerwarteten Störung ihrer Nachtruhe, während sich in einem neben liegenden Saal mehrere Gebärende nackt auf Edelstahl-Liegen wälzend allein mit ihrem Los, ein Kind zu bekommen, auseinandersetzten. 

Die diensthabende Ärztin war rasch zur Stelle, untersuchte die Patientin, stellte per Ultraschall-Farbdoppler eine Nabelschnur-Umschlingung fest und ließ alles zum Kaiserschnitt vorbereiten. „DIL - Danger in Life“  heißt das hier, wenn es dringend ist, und zwei Stunden später kam das Mädchen zur Welt. 

In Deutschland ist das die „EE-Zeit“, Entscheidung-Entbindung, sie beträgt 20 Minuten…

Wir alle hatten Glück – oder wie man es sonst bezeichnen mag. Auch, daß die diensttuende Kollegin ruhig und sachlich die notwendigen Schritte unternahm ohne Vorwürfe oder besserwisserische Gedanken zu äußern. Das ist durchaus nicht üblich. Jeder blicke zurück auf seine Tätigkeit.  Ich mag mich nicht ausschließen.  

Somit bin ich im fortgeschrittenen Alter und Berufsleben urplötzlich in der Situation, eine Frau unter der Geburt an eine leistungsfähigere Einrichtung abgeben zu müssen. Bislang war ich immer auf der „Empfänger-Seite“. Auch eine Erfahrung…

 

Danke Ihnen für Ihre Begleitung!

 

Ihr Dr. W. Donné

 

P.S.:  Am 22-07-2011 wollte ich Frau K. zu Hause besuchen. Sie muß noch stationär behandelt werden, da die Kaiserschnitt-Narbe infiziert sei. Schade..